Sich gegenseitig wenig verstehende Sprachgruppen innerhalb einer Gesellschaft neigen unter bestimmten Umständen dazu, einander mißtrauisch zu belauern. Sprachgruppen? Ja, Autisten gewichten aufgrund ihrer charakterlichen Veranlagung Sprache anders, messen dem verbalen Sprachanteil größere Bedeutung zu, als es Nichtautisten (NA) gemeinhin tun.
Letztere verständigen sich gerne zu großen Teilen über andeutende Signale des Körpers, der Stimmlage, etc. Überwiegend verbale Kommunikation (wie z.B. rein schriftliche über das Internet) erscheint ihnen daher karg und unattraktiv. Autisten tendieren oft dazu, eine weit lässigere Beziehung zu ihrem Körper zu haben, ihn mehr als Werkzeug zu betrachten, denn als Teil ihrer eigenen Person oder gar schlichthin als sich selbst.
Essentiell für die Entstehung von Mißverständnissen ist Ahnungslosigkeit über vorhandene Unterschiede. In manchen Regionen der Erde gilt Kopfschütteln als Bejahung und Kopfnicken als Ablehnung. Wenn ein Angehöriger der Bevölkerungsminderheit der Autisten sich nun gemäß seiner Veranlagung überwiegend verbal ausdrückt, seinen Körper jedoch dabei nicht anspannt und bewegt, wie es NA gerne tun, ergibt sich daraus wahrscheinlich der Eindruck bei einem NA, daß diese Signale die Gefühlslage des Gegenübers transportieren.
Daher wirkt der Autist im System der nichtautistischen Sprache teilnahmslos, desinteressiert, schwach, depressiv, tot, etc. Kaum ein NA wird auf den Gedanken kommen, daß der Autist schlichtweg rar mit seinem Körper kommuniziert, da NA wissen, daß diese Körpersprache bei ihnen selbst zu gewichtigen Teile unbewußt zum Ausdruck kommt. Daher auch die vielen Bücher und Kurse über Körpersprache. Die kaufen ja nicht nur Autisten, sondern vor allem NA, die lernen möchten auch per Körpersprache lügen zu können.
Somit wäre es für einen NA aufgrund seines Selbsterlebens völlig abwegig von einer grundlegend anderen Kommunikationsveranlagung auszugehen, die nicht erlernt ist, sondern Teil des Charakters einer Person. Hier versagt dem NA seine Emphatie, die nur dann funktioniert, wenn Ähnlichkeiten zwischen eigenem Welterleben und demjenigen von Mitmenschen ausgemacht werden. Autisten jedoch befinden sich meist rein aufgrund ihrer Minderheitenrolle in der Lage ihre natürliche Emphatie nur eingeschränkt anwenden zu können. Wären die Mehrheitsverhältnisse anders - wer will nicht behaupten, daß NA statt Autisten sich ihrerseits als Aliens erleben würden.
Da viele Menschen gesunderweise dazu neigen sich mitsamt ihren Charaktereigenschaften positiv zu werten, tendieren nun auf Grundlage solcher Mißverständnisse nicht wenige NA dazu, nach Kenntnisname der für sie im Grunde undenkbaren Andersartigkeit ebendiese defizitorientiert anhand ihrer Abweichungen zu bedauern:
"Aber mir schmeckt Sauerkraut mit Bratensoße so gut! Daß du daran keine Freude hast, tut mir sooooo leid. Du mußt krank sein! Du weiß gar nicht, was dir entgeht! Laß dir doch helfen!"
Die Arroganz der Mehrheit ist bekannt für ihre Neigung, Minderheiten auszugrenzen. Was für selbstgewählte Minderheiten ein Teil gegenseitigen Konformitätsdrucks z.B. in Generationskonflikten sein kann, ist für Angehörige von unfreiwilligen Minderheiten rasch eine grundlegend traumatisiernde Erfahrung. Der Konformitätsdruck richtet sich nicht gegen freie Überzeugungen, sondern gegen die eigene unumstößlich so seiende Natur, den Menschen an sich.
Die Mehrheit braucht Minderheiten anscheinend existentiell, um sich selbst zu definieren und mißbraucht sie zu diesem Zweck in menschenverachtender Weise. Als Alternative zur sinnstiftenden Wirkung von inneren und äußeren "Anderen" kommen auch Ideale kaum in Betracht, da eben solche Ideale Anderartigkeit erst kenntlich machen.
Solcherlei Ausgrenzung verursacht in der Folge gravierende Schäden wie Kriegskosten auf zwischenstaatlicher Ebene oder menschenunwürdige Lebensbedingungen und Chancenungleichheit von Angehörigen ausgegrenzter Minderheiten auf ziviler Ebene.
Da andererseits Ausgrenzung dieser Art nicht zu den christlichen Wurzeln unserer modernen Ethik passt, werden mittlerweile andererseits große Summen aufgewandt, um die Folgen der Ausgrenzungen zu beseitigen. Da jedoch viele Angehörige der Mehrheit, wie auch der sich untereinander nicht vertrauten Einzelminderheiten die Diskriminierungen als völlig selbstverständlich schlichtweg nicht mehr wahrnehmen, passiert nun etwas Verblüffendes:
Die in vielen Fällen noch durch völlig ineffiziente Strukturen und Korruption gesteigerten Kosten zur wenigstens teilweisen Beseitigung von Ausgrenzung werden als in der Ursache von den Minderheiten selbst zu verantworten gesehen. Die Kosten der Polizei werden den Verbrechensopfern zugerechnet. "Warum läßt du dich auch verprügeln und machst deswegen ein teures Verfahren notwendig." Diese Logik funktioniert nur, wenn die arrogante Mehrheit sich selbst nicht von einem Unrecht betroffen weiß und somit ihre Emphatie in Bezug auf Minderheiten ohne Bezug zu ihrem Ego kaltstellen kann.