Fortschrittsglaube ist ein wesentliches Merkmal der sich industrialisierenden Regionen europĂ€ischer PrĂ€gung. Von diesem LebensgefĂŒhl abgeleitet nimmt noch der heutige EuropĂ€er hĂ€ufig an, daĂ âfrĂŒherâ nahezu alles schlechter und unmenschlicher war als es zu seiner Zeit der Fall ist. Dies reicht von einem bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Bild des heute vielsagend so genannten âMittelaltersâ bis hin zur Annahme, daĂ es âBehindertenâ frĂŒher viel schlechter ging. Doch technische Fertigkeiten eines Kulturraums sind nicht identisch mit der QualitĂ€t menschlichen Daseins an sich.
Zumindest in Hinblick auf autistische Leben haben sich in den letzten Jahrhunderten offensichtlich auch einige wichtige Aspekte zum Schlechten gewendet.
Durch religiös begrĂŒndete Vorstellungen galten ruhige, schweigende oder wortkarge Personen oft als besonders fromm und wurden so in einem anderen Licht wahrgenommen. Als Hintergrund sei an Mönchsorden wie die KarthĂ€user oder Trappisten erinnert, in denen das Schweigen einen bedeutenden Stellenwert besaĂ. Im Alltag spielten solche Wertsysteme eine nicht zu unterschĂ€tzende Rolle.
Auch andere Aspekte der Askese, die man heute bei Autisten oft noch als defizitÀr ansieht, galten vor einigen Jahrhunderten als tugendhaft. So ist in einer Klosterordnung der Zisterzienser zu lesen:
"Sonst pflegen sich die Menschen, wenn sie rasiert sind, zu baden. Die Mönche aber sollen es nur zweimal jÀhrlich tun, zu Weihnachten und zu Ostern. Da kann jeder baden, der will. Sonst darf es nur mit Erlaubnis des Abtes geschehen, wenn es die Gesundheit erfordert."
Autisten lebten relativ normal und akzeptiert, wie auch Angehörige anderer heute pathologisierter Minderheiten. Man kannte vermutlich ihre FĂ€higkeiten oder akzeptierte sie individuell, wie alle anderen auch, als von Gott so gemachte Menschen. Im chinesischem Volksglauben verbindet man noch heute spĂ€tes Sprechen mit zukĂŒnftiger hoher Intelligenz. Autisten gab es schon immer unter dem Menschen. Sie hieĂen nur nicht immer so, wurden wahrscheinlich nicht als Minderheit wahrgenommen, sondern als Persönlichkeiten unter Persönlichkeiten, nicht als Kranke oder Behinderte.
âEs hatte einst ein Menschlein einen Sohn. Dieser Knabe war zwanzig Jahre alt und hat zu niemanden noch ein Wort gesprochen. So oft er nach Hause kam, ging er in sein eigenes Zimmer und verbrachte dort schreibend und lesend seine Zeit. Die Frau hatte in der Welt nur einen Sohn, und da sie ihn sehr lieb hatte, krĂ€nkte es sie, daĂ er mit niemandem redet und kein Wort spricht.Eines Tages saĂ sie mit den Nachbarsfrauen zusammen, und redete von ihrem Sohn: âIch weiĂ nicht, was ich machen soll, mein Sohn ist zwanzig Jahre alt, redete aber noch zu niemandem ein Wortâ. Die Nachbarn: âVerheirate ihn, nach der Heirat wird das MĂ€dchen, das ihn geheiratet hat, ihn zum Sprechen bringen, dann redet er auch mit dirâ, sagen diese. Die Frau besinnt sich: âWahrlich, wenn ich ihm ein MĂ€dchen nehme, wird er gewiĂ sprechenâ. Damit ging sie, ihm ein MĂ€dchen zu suchen. Gehend gehend findet sie in einem Hause drei MĂ€dchen, eine schöner als die andere. Die gröĂte von diesen verlangt sie mit Allahs Befehl fĂŒr ihren Sohn. Die Mutter des MĂ€dchens gibt sie einwilligend hin. Sie verloben sich also, beginnen die Hochzeit und nach Beendigung dieser fĂŒhren sie das MĂ€dchen geschmĂŒckt, geziert in das Zimmer des JĂŒnglings. Es wird Abend, der JĂŒngling kommt und sieht die Braut im Zimmer sitzen. Der JĂŒngling schaut gar nicht in das Gesicht der Braut und geht weiter, setzt sich auf seinen Platz und fĂ€ngt an zu lesen und zu schreiben. Es wird Mitternacht, er spricht zum MĂ€dchen kein einziges Wort, zieht sich in ein Eck zurĂŒck und legt sich. Das MĂ€dchen wird vom Sitzen schlĂ€frig, und auch sie streckt sich an seiner Seite aus und legt sich. Als es Morgen wurde, stand der JĂŒngling auf, wusch seine Hand und sein Gesicht und ging hinaus. Das MĂ€dchen wacht auf, sieht, daĂ der JĂŒngling fortgegangen ist, fĂ€ngt an nachzudenken: âIch saĂ bis Mitternacht diesem gegenĂŒber, er schaute nicht einmal in mein Gesicht, was soll ich mit einem solchen Gemahl machen?â. Damit steht sie auf und geht zurĂŒck in das Haus ihrer Mutter.â
TĂŒrkisches VolksmĂ€rchen, zitiert nach Dr. Ignaz KĂșnos
Folgt man der aktuellen archĂ€ologischen Forschung, so gibt es Hinweise darauf, daĂ auch Angehörige anderer heute pathologisierter Minderheiten in frĂŒheren Zeiten als selbstverstĂ€ndlicher Teil der Gesellschaft berachtet wurden.
Zu einem Kind, das vor ca. 100000 Jahren ("Altsteinzeit") ca. 5 Jahe vor seinem Tod eine schwere Kopfverletzung ĂŒberlebt haben muĂ:
Seit seinem sechsten Lebensjahr konnte das Kind sich also wahrscheinlich nicht mehr vollstĂ€ndig kontrolliert bewegen, den Blick nicht mehr fokussieren und keine zusammenhĂ€ngenden SĂ€tze mehr sprechen. [...] Sein Grab lag direkt vor dem Eingang der Höhle. Es muss auf jeden Fall so tief gewesen sein, dass keine Tiere an den Knochen nagten. Ăber dem oberen Teil der Brust lagen zwei Geweihe, und zwar so dicht bei den Handknochen, dass vermutlich jemand die kleinen HĂ€nde bei der Beerdigung darumgelegt hatte. Kein anderes BegrĂ€bnis im Bereich der Höhle, schreiben die Forscher, lasse eine derartige Sorgfalt erkennen.
Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/ausgegraben-kind-mit-behinderu...
So könnte es der Ă€lteste bekannte Fund eines Kindes mit Down- Syndrom sein. Das galt zuvor fĂŒr einen angelsĂ€chsischen SchĂ€del aus Brothwell. Das neun Jahre alte englische Kind lebte zwischen 700 und 900.Ansonsten aber war bei dem BegrĂ€bnis alles so wie bei den ĂŒbrigen Toten des Friedhofes von Saint-Jean-des-Vignes. Das Grab war in Ost-West-Richtung orientiert, der Kopf zeigte gen Westen. Anhand der Lage der Knochen konnten die AusgrĂ€ber feststellen, dass der Verwesungsprozess in einem Freiraum im Boden stattgefunden hatte - so wie ihn typischerweise ein Sarg schafft.
"Daraus folgern wir", schlieĂen die Forscher ihren Aufsatz im "International Journal of Palaeopathology", "dass das Kind mit Down-Syndrom im Tod nicht anders behandelt wurde als alle anderen Gemeindemitglieder."
Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/ausgegraben-aeltester-fund-ein...
Die Evolutionslehre und die daraus resultierenden Folgen
Im Zuge der SĂ€kularisierung verĂ€nderte sich das Weltbild in grundlegenden Punkten, etwa in Form des Darwinismus. Zunehmend wurde der Mensch nicht mehr als von Gott geschaffenes Individuum betrachtet, sondern durch Erblinien, die Teile der Menschheit als krank, oder zumindest als weniger ĂŒberlebensfĂ€hig bezeichnen, aus dem Fokus der Betrachtung gedrĂ€ngt.
âWie jedes andere Tier ist auch der Mensch ohne Zweifel auf seinen gegenwĂ€rtigen hohen Zustand durch einen Kampf um die Existenz in Folge seiner rapiden VervielfĂ€ltigung gelangt, und wenn er noch höher fortschreiten will, so muss er einem heftigen Kampf ausgesetzt bleibenâŠEs dĂŒrfen die FĂ€higsten nicht durch Gesetze oder GebrĂ€uche daran gehindert werden, den gröĂten Erfolg zu haben.â
Zitiert aus: Darwin; Die Abstammung des Menschen; 1871
Man begab sich vielerorts mit Elan auf die Suche nach Optimierungsmöglichkeiten der Menschheit, was z.B. in Eugenik und Euthanasie Niederschlag fand (z.B. Haeckel, Tille, Galton) und man bis heute auch in Westeuropa in einer unterschwelligen Variante völlig selbstverstĂ€ndlich findet. Ein Element dieser AktivitĂ€ten ist die Identifizierung von vermeintlich nicht optimalem Leben â wozu nach heutiger offizieller Kategorisierungen noch immer die Minderheit der Autisten zĂ€hlt, die sich mindestens seit Jahrzehntausenden unter den Menschen bewĂ€hrt hat.
Als ein klassisches Ereignis aus dem Umfeld dieser Entwicklungen ist z.B. der MailĂ€nder Kongress von 1880 zu nennen. Gesellschaftlich integrierte Bevölkerungsgruppen, wie Gehörlose wurden im Geiste der Eugenik desintegriert und ausgegrenzt, die Kinder pathologisiert und von klein an durch oberflĂ€chliche Gleichmacherei seelisch miĂhandelt. Ein Zustand, der sich fĂŒr Gehörlose inzwischen wieder gebessert hat, fĂŒr Autisten im ĂŒbertragenen Sinne jedoch bis heute in voller SchĂ€rfe mit staatlicher UnterstĂŒtzung praktiziert wird.
Ein wesentlicher Faktor von weltanschaulicher Diskriminierung ist der verweigerte Dialog auf gleicher Augenhöhe. Diskriminierungen sind zu groĂen Teilen Folge von weltanschaulichen Glaubenshaltungen und kulturellen Annahmen. Diese werden oft in breiter Weise als selbstverstĂ€ndlich betrachtet und in die Natur selbst hineingelesen, als wĂŒrden sie sich logisch aus den Gegebenheiten ableiten lassen. Dies ist aber erstaunlich selten tatsĂ€chlich der Fall. Somit ist dieses Grundproblem der Diskriminierung die mangelnde Einsicht in das Stattfinden von aktiver Behinderung.
Wandel der Umgebungsbedingungen
Eine andere Kaskade von Ănderungen der Lebensbedingungen griff schleichender um sich. Innerhalb der letzten Jahrhunderte hat sich die Gesellschaft rasant gewandelt. Die Durchdringung des Privatlebens mit staatlichen Regulierungen ist rapide angestiegen, die VerstĂ€dterung ebenso. BerufstĂ€tigkeit stellt heute völlig andere Anforderungen durch die weitgehende VerdrĂ€ngung der Komponente physischen Kraftaufwands aus dem Berufsleben durch die Nutzung vor allem fossiler Energien. Kommunikation wurde dabei aus diesen GrĂŒnden immer wichtiger â ein Nachteil fĂŒr Minderheiten mit abweichender Kommunikationsveranlagung wie Autisten.
Wenn der Wandel zu einer ausdifferenzierteren Informationsgesellschaft fĂŒr Autisten auch potentiell groĂe Vorteile mit sich bringt (wenn denn ein sinnvoller Zugang unter den gegebenen individuellen LebensumstĂ€nden erreichbar ist), so gab es dennoch auch nachteilige Entwicklungen, welche Autisten das Leben heute schwerer machen. So z.B. durch die Steigerung der Geschwindigkeit des Alltags alleine durch die Motorisierung der Fortbewegung im eigenen Alltag und im Erleben fremder Lebensspuren, wie dem heute fast allgegenwĂ€rtigen aufgrund ihrer besonders sensiblen Wahrnehmung fĂŒr autistisch wahrnehmende Menschen besonders belastenden StraĂenverkehr. Im Zuge der Industrialisierung und zunehmenden VerstĂ€dterung Europas ist das Leben lauter und unruhiger geworden. FĂŒr Autisten bedeutet dies, dass sie in den StĂ€dten und dicht besiedelten Regionen ihre Aufmerksamkeit auf viel mehr Dinge richten mĂŒssen, als in weitgehend unberĂŒhrter Natur.
Die Motorisierung der Gesellschaft hatte zur Folge, daĂ Bewegungen schneller erfolgen und weniger gut gedanklich nachvollzogen werden können. Zudem ist ein gröĂerer Umkreis um den Wohnort schnell zu erreichen, was Aufenthalte an unbekannten Orten wahrscheinlicher macht. Da die Reichweite gröĂer ist, kann das Umfeld weniger tiefgrĂŒndig erschlossen werden, was gesteigerte Desorientierung zur Folge haben kann.
Schnelle fast allgegenwĂ€rtige Bewegungen durch Autos in oft zudem noch hoher Anzahl, sowie EindrĂŒcke durch deren GerĂ€usche, spiegelnden Lack, grelle Scheinwerfer, GerĂŒche, ErschĂŒtterungen des Bodens, Luftbewegungen, etc. bewirken eine Verseuchung weiter Teile des Landes mit Sinnesreizen, die Autisten Bewegungen in AuĂenbereichen deutlich erschweren und sie psychisch belasten, was sich in generell geringerer HandlungsfĂ€higkeit ausdrĂŒckt. Die Elektrifizierung hat Leuchtreklame, Halogen- und Xenon-Autoscheinwerfer und Ampeln hervorgebracht. In besiedeltem Raum erzeugen nahezu allgegenwĂ€rtige MotorgerĂ€te bis hin zu ElektrokleingerĂ€ten eine GerĂ€uschkulisse, die zur Steigerung der Ăberlastung von Autisten beitrĂ€gt.
Wenn auch Kutschen und Pferde oder Wind und Wolken ebenfalls schnelle Bewegungen vollfĂŒhren, so hatte die Belastung durch diese wohl nur an wenigen Orten ein an heutige Sinnesbelastung heranreichendes MaĂ. Der StraĂenverkehr durch seine hektische Unberechenbarkeit und sein âĂŒberall seinâ hat zudem weit gravierendere Auswirkungen, als ebenfalls temporeicher Bahnverkehr in der Landschaft, welcher sich zudem in der Regel nach FahrplĂ€nen richtet.
Autisten sind nicht behindert, erst unpassende, behindernde Umgebungsbedingungen, die von einer nichtautistischen Mehrheit vorgegeben werden, machen Autisten zu Behinderten. Dies zeigt sich beispielsweise anhand des veröffentlichten Beispiels eines Jungen namens Rowan der in seiner Heimat seinem Umfeld vor allem negativ auffiel, wenn er seinen Kopf gegen den Bordstein schlug, schrie und nicht sprach. Seine Eltern kutschierten ihn von Therapie zu Therapie, verabreichten Medikamente, doch nichts half. Die Diagnose "Autismus-Spektrum-Störung" erfolgte. Eine Analyse seiner DNA ergab zudem, dass ihm ein Gen fehlt, das ein Enzym namens Gluthation produziert. Dieses Enzym verarbeitet im Körper Toxine. Solche genetischen Abweichungen und anderweitige Krankheiten treten manchmal lediglich parallel zu Autismus auf, begrĂŒnden ihn aber nicht. Die Geschichte Rowans veranschaulicht den Einfluss von Umweltbedingungen auf die Entwicklung eines Autisten. Als Rowan in Kontakt mit BuschmĂ€nnern aus der Kalahari-WĂŒste kam, die Rowans Vater an eine Tagung der Vereinten Nationen in Kalifornien begleiteten, sprach Rowan auf die rituellen GesĂ€nge der BuschmĂ€nner an. Doch dieses positive Erlebnis war nicht von langer Dauer. Die unpassenden Umgebungsbedingungen machen ihm zu Schaffen. Der Vater entschied sich, mit Rowan in die Mongolei zu fahren â eine Reise auf dem Pferd zu Naturheilern. Die Entwicklung, die Rowan dort machte, war bemerkenswert.
Die ruhige Umgebung erlaubte Rowan zur Ruhe zu kommen und erzielte weitaus mehr, als die Therapien und Medikamente in den USA. Innerhalb weniger Tage lernte Rowan, nicht mehr in die Windel zu machen, begann zunehmend mit der Umwelt zu interagieren und mit Gleichaltrigen zu spielen. Doch mit der RĂŒckkehr in die USA traten Rowans Verhaltensweisen, durch die er bereits vor der Reise negativ auffiel, wieder gehĂ€uft auf. Immerhin blieben Teile der dortigen Erlebnisse weiter sichtbar (Spiegel 13.10.2009). Dieses Beispiel demonstriert, dass Autismus an sich keine Veranlagung darstellt, die Erscheinungsbilder nach sich zieht, die heute fĂ€lschlich als Autismus wahrgenommen werden. Auch FĂ€higkeiten wie Sprechen und Interagieren, können von Autisten gelernt werden, wenn die Umgebungsbedingungen angemessen sind.
Rasanter Wandel nimmt sich selten Zeit zu umsichtigem Vorgehen. Wenn auch Autisten vermutlich deutlichen Anteil an der Schaffung der Grundlagen fĂŒr diese UmwĂ€lzungen leisteten, wurde die Umsetzung dennoch bis heute weitgehend in einer Art vorgenommen, die Autisten erheblich in ihrer HandlungsfĂ€higkeit beschrĂ€nkt, oder sie gar in die Besinnungslosigkeit treibt. Das liegt vor allem darin begrĂŒndet, dass sie oft eitlen Hordenchefs als Zulieferer dienen, jedoch kaum an Prozessen gesellschaftlicher Vereinbarungen beteiligt werden. Daher ist es nun endlich erforderlich auch fĂŒr Autisten Barrierefreiheit zu schaffen, sowie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auch auf ihre BedĂŒrfnisse einzurichten.
Die Definition des Autismus im Wandel der Zeit
In den Blickpunkt der mehr oder weniger als Disziplin entstehenden Psychologie geriet Autismus erst vor rund 100 Jahren. Erstmalige Verwendung fand der Begriff Autismus im Jahre 1910 durch Eugen Bleuler, der den Begriff zur Bezeichnung eines der Grundsymptome der Schizophrenie verwendete, die fĂŒr ihn ein Ăberwiegen des Innenlebens, verbunden mit einer aktiven Abwendung von der Aussenwelt darstellte. Zwei Jahre spĂ€ter definierte Bleuler genauer, was fĂŒr ihn autistisches Denken in Abgrenzung zum realistischen Denken bedeute: Realistisches Denken reprĂ€sentiere die Wirklichkeit und reguliere die Beziehungen des Individuums zur Aussenwelt, autistisches Denken hingegen stelle sich vor, was angenehm sei. Werde ein Mensch vollstĂ€ndig vom autistischen Denken beherrscht, so wirke er apathisch und habe jeglichen Bezug zur Aussenwelt verloren. Weitere Untersuchungen ĂŒber Autismus als Bestandteil, oder als Vorstufe zur Schizophrenie im Kindesalter folgten.
Zu diesem Zeitpunkt war der Begriff der Dementia Praecox, der massgeblich von Emil Kraeplin (1878) geprĂ€gt wurde, noch weit verbreitet. Der Begriff bezeichnet eine FĂŒlle unterschiedlicher psychischer PhĂ€nomene, die von Kraeplin, der die Meinung vertrat, Krankheiten liessen sich nicht anhand ihrer Ursachen, sondern anhand der KrankheitsverlĂ€ufe differenzieren, als ein PhĂ€nomen betrachtet wurden. Erst Bleuler (1908) kritisierte den Begriff und fĂŒhrte den Begriff der Schizophrenie ein (1911). Nichtsdestotrotz blieben im Begriff eine Vielzahl unterschiedlicher PhĂ€nomene enthalten, unter anderem auch Autismus. Autismus wurde hĂ€ufig als âKnick in der Lebenslinieâ (Binder 1936) beschrieben und Autisten wĂŒrden die âFĂ€higkeit zum Du-Erlebnisâ (ibd.) verlieren. Zunehmend rĂŒckte die Frage nach den Ursachen von Autismus in den Vordergrund. Es wurden sowohl biologische Ursachen, als auch auslösende Momente diskutiert, auch die Annahme einer Kombination beider Ursachen schien verbreitet.
Autismus als von der Schizophrenie unabhÀngiges PhÀnomen
Erst im Jahre 1938 wurde durch den Ăsterreicher Hans Asperger, bei dem unter anderem auch LiteraturnobelpreistrĂ€gerin Elfriede Jelinek zeitweise in Behandlung war, eine andere Sichtweise auf Autismus bekannt. Die These, dass Autismus eine Form kindlicher Schizophrenie darstelle, wies er zurĂŒck und beschrieb Autismus als eigenstĂ€ndige, angeborene Psychopathie â der Begriff der Psychopathie bezeichnete damals die Vorstellung vererbter Charakter- und Triebbesonderheiten, die zu subjektiven Leiden oder sozialen Konflikten beitrĂŒgen (Koch 1891; Schneider 1923). Anhand vierer Fallbeispiele beschrieb Asperger die Besonderheiten, die fĂŒr ihn charakteristische Merkmale von Autismus darstellten. So besĂ€ssen alle vier untersuchten Knaben besonders ausgearbeitete GesichtszĂŒge, die durch das stete Denken geprĂ€gt seien, der Blick wirke abwesend und bliebe kaum an Personen oder GegenstĂ€nden hĂ€ngen, ferner beherrschten die untersuchten Kinder, wenn ĂŒberhaupt, nur unzureichende Mimik und Gestik, desweiteren wirke die Sprache unnatĂŒrlich.
Asperger betonte ausdrĂŒcklich die FĂ€higkeiten der autistischen Kinder. Die untersuchten Kinder wĂŒrden sich insbesondere durch originelle Lösungsstrategien auszeichnen und sich bereits frĂŒh fĂŒr spezifische Themengebiete interessieren, in denen sie zu herausragenden Leistungen fĂ€hig seien; wĂ€ren aber nur ungenĂŒgend in der Lage, mechanisierte, strengen Regeln folgende Aufgaben zu lösen. Autistische Kinder hĂ€tten die FĂ€higkeit âdie Dinge und VorgĂ€nge der Umwelt von neuen Gesichtspunkten aus zu sehenâ (Asperger 1944). Trotz einer gestörten Beziehung zur Umwelt wĂ€ren die Kinder zu einer bemerkenswerten Klarsichtigkeit, in Bezug auf Urteile ĂŒber die Umwelt und sich selbst in der Lage. Diese Klarsichtigkeit sei insbesondere bei wissenschaftlichen Berufen von Ă€usserster Wichtigkeit, weswegen zahlreiche bedeutende Wissenschaftler Autisten wĂ€ren. Dies beantwortet auch die Frage nach der sozialen Wertigkeit, deren Beantwortung gerade zur Zeit des Nationalsozialismus entscheidend war. Asperger stellt den autistischen Kindern eine gute Prognose. Aufgrund ihrer Intelligenz und AbstraktionsfĂ€higkeit seien sie durchaus in der Lage, sich in die Gesellschaft zu integrieren und als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft eine angesehene TĂ€tigkeit auszuĂŒben.
Asperger wurde Zeit seines Lebens vor allem in seiner Heimat rezipiert, bekam aber kaum internationale Aufmerksamkeit. Erst in den 80er Jahren fĂŒhrte die EnglĂ€nderin Lorna Wing Aspergers Arbeit fort und benannte die Art der untersuchten Kinder als "Asperger-Syndrom". Durch die Ăbersetzung von Aspergers Arbeit ins Englische wĂ€hrend den 90er Jahren, wurde ein breiterer Kreis von Wissenschaftlern auf Aspergers Arbeit aufmerksam.
Beinahe zeitgleich mit Asperger veröffentlichte der Ăsterreicher Leo Kanner in den USA einen Aufsatz unter dem Titel âAutistic Disturbances of Affective Contactâ (1943). Es ist unklar, ob Kanner die Arbeit Aspergers kannte, jedoch ist anzunehmen, dass er die wissenschaftlichen Publikationen seines Herkunftslandes verfolgte. Ausgehend von elf Fallbeispielen beschrieb Kanner frĂŒhkindlichen Autismus als eine kognitive Störung, die sich in stĂ€ndigem Wiederholen bestimmter Wörter oder TeilsĂ€tze und einem verminderten kognitiven Leistungsniveau zeige.
Die Sprache der autistischen Kinder habe gemĂ€ss Kanner weitgehend ihre FunktionalitĂ€t verloren und könne hĂ€ufig nur von Menschen verstanden werden, die zugegen waren, als eine bestimmte Phrase in einem konkreten Zusammenhang geĂ€ussert wurde und von da an untrennbar mit der entsprechenden Situation verbunden sei. Wie auch schon Asperger ging Kanner davon aus, dass Autismus angeboren ist. Im Gegensatz zu Asperger betrachtete Kanner Autismus als schwere Störung, die sich in einem völligen RĂŒckzug aus sozialen Kontakten sowie einem BedĂŒrfnis Routinen einzuhalten, manifestiere und die Autisten erheblich in ihrer LebensqualitĂ€t einschrĂ€nke.
Das Umwelt-Modell Bettelheims
Anders als Asperger und Kanner definierte der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim Autismus anhand eines Umwelt-Modelles, das Autismus nicht als angeboren, sondern als Reaktion des Kindes auf ein besonders kĂŒhles und distanziertes Verhalten der Mutter, erklĂ€rt. Dieses Elternverhalten beobachtete Bettelheim im Rahmen seiner TĂ€tigkeit, zog jedoch nicht die Annahme der Vererbung vor. Wie auch schon seine VorgĂ€nger erkannte Bettelheim, dass die Eltern autistischer Kinder zwar hĂ€ufig sehr gebildet waren, es aber so schien, als seien sie nicht in der Lage eine Beziehung zu ihren Kindern aufzubauen.
KĂŒhlschrankmĂŒtter nannte Bettelheim die MĂŒtter solcher Kinder. Ausgehend von seinen eigenen Erfahrungen in den KZ Dachau und Buchenwald beschrieb er das Verhalten der autistischen Kinder als Verhalten, das Menschen, die besonders lange und nachhaltig gelitten haben, an den Tag legen (Bettelheim 1967). Die ErklĂ€rung, dass Autismus auf ein gestörtes Mutter-Kind-VerhĂ€ltnis zurĂŒckzufĂŒhren sei, gilt mittlerweile als widerlegt, kommt aber immer wieder in kontrovers diskutierten und in scharfer Kritik stehender AnsĂ€tzen, wie beispielsweise der Festhaltetherapie, zum Vorschein.
Indes sind nicht nur bis in die Gegenwart verbreitete, zweifelhafte therapeutische Massnahmen auf Bettelheims Ansatz zurĂŒckzufĂŒhren, auch die GrĂŒndung von ElternverbĂ€nden, wie beispielsweise âAutismus Deutschlandâ liegt wohl unter anderem darin begrĂŒndet, dass sich Eltern dem Vorwurf, die Schuld am Autismus ihrer Kinder zu haben, ausgesetzt sahen. In Zusammenhang damit sind auch die Beteuerungen von Eltern autistischer Kinder, nichts in der Erziehung falsch gemacht zu haben, die sie auch heute noch vorbringen, zu sehen. Ebenso wird diese Ansicht erfahrungsgemÀà von vielen Menschen aus dem Lebensumfeld der Eltern geĂ€uĂert. Die Tatsache, dass sehr viele Verhaltensweisen von Autisten nicht auf den Autismus, sondern auf ein unpassendes Umfeld zurĂŒckzufĂŒhren sind, wird dabei von den Eltern â wenn ĂŒberhaupt â hĂ€ufig nur mit Widerwillen zur Kenntnis genommen.
Der aktuelle Forschungsstand
Zeitgenössische AnsĂ€tze gehen von einer "Autismus-Spektrum-Störung" aus, die sowohl Kanners frĂŒhkindlichen Autismus, der hoch-, mittel- und niederfunktionalen Autismus einschliesst, als auch das "Asperger-Syndrom" sowie zusĂ€tzlich fĂŒr Kinder, die zwar die nötige Anzahl Kriterien fĂŒr eine Diagnose nicht erfĂŒllen, die erfĂŒllten Kriterien aber teilweise so eindeutig erfĂŒllt sind, dass dennoch eine Diagnose angemessen erscheint, die Kategorie des atypischen Autismus bereithĂ€lt (ICD-10; DSM-IV). Diese Kategorien wirken mitunter willkĂŒrlich gewĂ€hlt und hĂ€ufig ist bei Erwachsenen Menschen nicht mehr bestimmbar, welcher Kategorie sie als Kinder zugeordnet wurden. Eine Abschaffung der heutigen Unterteilung im 2012 erscheinenden DSM 5 wird derzeit diskutiert (dazu siehe auch unten unter
"Ausblick").
Es gibt unterschiedliche Versuche, in ErgĂ€nzung zu diesen drei Kategorien weitere Untergruppen zu beschreiben. So differenziert beispielsweise ein Ă€lterer Ansatz (Wing/Gould 1979) den frĂŒhkindlichen Autismus in Bezug auf das Sozialverhalten der Kinder und den Kontakt zur Umwelt. Drei unterschiedliche Verhaltensweisen wurden beobachtet: (1) zurĂŒckgezogene Kinder, die jegliches soziales Verhalten vermieden, keinen Blickkontakt halten könnten und hĂ€ufig eine mittelgradige bis schwere geistige Behinderung zugeschrieben bekĂ€men. (2) passive Kinder, die zwar von sich aus keine Kontaktversuche unternĂ€hmen, aber Kontaktaufnahme von anderen akzeptieren wĂŒrden sowie (3) aktive, aber sich seltsam verhaltende Kinder, die zwar spontan auf andere zugehen könnten, aber oft ein distanzloses Verhalten an den Tag legten.
In Bezug auf dieses Einordnungsschema ist zu beachten, dass bei den autistischen Kindern, bei denen eine geistige Behinderung vermutet wird, sich dies womöglich nach Jahrzehnten als fataler Irrtum herausstellt. Ruhige Umgebungsbedingungen sind zentral fĂŒr die gesunde Entwicklung eines autistischen Kindes. Von diesen Umgebungsbedingungen sind auch die Resultate eines allfĂ€lligen IQ-Tests sowie zahlreiche Verhaltensweisen und Symptome, die heute fĂ€lschlicherweise Autismus zugeschrieben werden, abhĂ€ngig.
1989 entwickelte Christopher Gillberg (1989) ein Diagnoseraster fĂŒr das "Asperger-Syndrom", das die Diagnosekriterien in folgende Kategorien unterteilt: Soziale BeeintrĂ€chtigung, Eingeengte Interessen, Repetitive Routinen, Rede- und Sprachbesonderheiten, nonverbale Kommunikationsprobleme sowie motorische Unbeholfenheit.
Weitere Einteilungsmöglichkeiten sind beispielsweise bei Kindern mit Diagnose "Asperger-Syndrom" in Bezug auf die Sprachkompetenz (Tager-Flusberg/Joseph 2003) oder es existiert auch ein Ansatz, der autistische Kinder mithilfe eines Intelligenztests, den Differential Ability Scales, in drei Kategorien einteilt; nÀmlich (1) Verbale Intelligenz < Praktische Intelligenz (2) Verbale Intelligenz = Praktische Intelligenz (3) Verbale Intelligenz > Praktische Intelligenz. Obwohl diese Einteilung nur von einer Intelligenzskala ausgeht, soll die IntensitÀt des Autismus anhand dieser Skala abgelesen werden können (Howlin et al. 2000).
Es wird hĂ€ufig ein rasanter Anstieg der Anzahl der Autisten behauptet. Vor 14 Jahren sei lediglich 1 von 10'000 Kindern diagnostiziert worden, wĂ€hrenddessen es heute 1 von 150 sei (Centers for Disease Control and Protection (CDC)); neuere SchĂ€tzungen der Zeitschrift Pediatrics gehen gar von 1% der Bevölkerung aus. Der grösste Teil der in den USA diagnostizierten Kinder sind Weisse. Inwiefern dieser Anstieg der Diagnosen mit einem tatsĂ€chlichen Anstieg der Autisten in der Bevölkerung einhergeht, ist umstritten und offensichtlich vor allem auf eine in der Praxis immer verbreitetere Diagnostik und daneben auch auf eine weitere Verschlechterung der Lebensbedingungen von Autisten (siehe oben) zurĂŒckzufĂŒhren. Insbesondere im US-Amerikanischen Raum wird hĂ€ufig von einer Autismusepidemie die aufgehalten werden muss, gesprochen â was zur Folge hat, dass entsprechende Forschungsgelder fliessen.
Ausblick
Wie bereits erwĂ€hnt, sind viele Verhaltensweisen und Symptome, die derzeit dem Autismus zugeschrieben werden, vielmehr Folgen ungĂŒnstiger Lebensbedingungen, denen Autisten ausgesetzt sind. Es kann mitunter Jahre dauern, bis ein Autist die ungĂŒnstigen Lebensbedingungen genĂŒgend aufgearbeitet hat. Insofern sind auch die heutigen Unterdiagnosen kritisch zu sehen, da diese je nach Lebensbedingungen des Autisten unterschiedlich ausfallen können. Ferner bilden die Diagnosen, wenn ĂŒberhaupt, lediglich die Situation in der frĂŒhen Kindheit ab und werden im Laufe der Entwicklung, die auch ohne therapeutische Massnahmen stattfindet, weitgehend hinfĂ€llig. Auch die Wissenschaft distanziert sich zunehmend von den ĂŒblichen Unterdiagnosen. Es wird derzeit diskutiert 2012 in der Neufassung des DSM-IV, dem DSM-V, eine ZusammenfĂŒhrung des "Asperger-Syndroms" mit dem "atypischen" Autismus, der in den USA lediglich als PDD-NOS (tiefgreifende Entwicklungsstörung - nicht anders bezeichnet) in die Diagnose "Autismus-Spektrum-Störung" vorzunehmen. Es sei bisher niemand in der Lage gewesen, grundlegende Unterschiede zwischen dem "Asperger-Syndrom" und anderen milden Formen des Autismus zu beschreiben, so die BefĂŒrworter der ZusammenfĂŒhrung. Die vorgeschlagenen Ănderungen sind indes ein Teil einer Revision, die die gĂ€ngigen psychiatrischen Diagnosen durch ein Abstufungsraster differenzierter machen und dadurch auch die jeweils zugeschriebene IntensitĂ€t darstellen soll. Wie diese IntensitĂ€t objektiv gemessen werden kann, ist noch offen. Insbesondere bei Autisten, die sich hĂ€ufig durch ein ungleiches FĂ€higkeitenprofil auszeichnen, wirft diese Frage ernsthafte Probleme auf. Die Diskussion ist kontrovers. Das "Asperger-Syndrom" ist nicht nur eine psychiatrische Diagnose, fĂŒr zahlreiche Asperger-Autisten scheint es auch ein identitĂ€tsstiftendes Element darzustellen. Der australische Psychologe Tony Attwood beispielsweise befĂŒrchtet, dass sich viele Menschen - sollte durch die Abschaffung der Diagnose "Asperger-Syndrom" das positive Bild, das diese Diagnose besitzt, wegfallen - nicht mehr diagnostizieren lassen, da sie Autismus als negativ und als nicht auf sie zutreffend empfinden. Doch zahlreiche Menschen mit der Diagnose "Asperger-Syndrom" fĂŒhlen sich vielmehr dem autistischen Spektrum, als einer Unterdiagnose zugehörig (New York Times 2.11.2009).
Die pathologische Geschichte des Autismus ist relativ kurz. WĂ€hrenddessen anfangs wohl nur besonders eindeutige FĂ€lle diagnostiziert wurden, hat sich sowohl das Diagnoseraster im Laufe der Zeit erweitert, als auch das elterliche BedĂŒrfnis erhöht, Kinder, die in jeglicher Hinsicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, zu haben. Kinder, die vor 20 Jahren vielleicht nur als besonders anstrengend bezeichnet worden wĂ€ren, werden heute mitunter mit unterschiedlichen Diagnosen belegt, unter anderem auch mit Autismus.
Der Versuch aufgrund falscher Ursachenannahmen etwas zu heilen, was keiner Heilung bedarf, gipfelt in unmenschlichem und möglicherweise schĂ€dlichem Anpassungsdruck, dem autistische Kinder ausgesetzt sind, wĂ€hrenddessen die Erziehungsberechtigten versuchen diese Kinder in eine nichtautistische Form zu zwĂ€ngen, die fĂŒr die autistischen Kinder widernatĂŒrlich und ungesund ist. Die langfristigen SchĂ€den, die eine solche widernatĂŒrliche Behandlung der Kinder mit sich bringt, werden hĂ€ufig weder von Therapeuten, noch von Eltern in Betracht gezogen. FĂŒr die Umschulung von LinkshĂ€ndern gelten psychische FolgeschĂ€den mittlerweile als erwiesen, ein solcher Nachweis steht fĂŒr therapierte Autisten anscheinend aufgrund einseitig ausgerichteter Forschung noch aus.
Vereinheitlichung und die UnterdrĂŒckung individueller Besonderheiten scheinen das zeitgenössische Gesellschaftsbild zu prĂ€gen. Nicht Vielfalt, wie sie als Element der StabilitĂ€t und Gesundheit grundsĂ€tzlich in der Natur vorzufinden ist (BiodiversitĂ€t), sondern ein einheitlicher Normmensch scheint Ziel des heutigen industriellen Zeitgeistes zu sein. Nichtsdestotrotz gibt es auch AnsĂ€tze, die individuelle Persönlichkeitseigenschaften beschreiben, ohne sie einer wertenden Einordnung zu unterziehen. Als Beispiel hierzu sei an Erich Fromm (1979) erinnert, der in Anlehnung an Sigmund Freud eine Charakterkunde entwickelte, die anhand menschlicher Eigenschaften unterschiedliche Charakter-Orientierungen, wie beispielsweise die âhortende Orientierungâ oder auch die ârezeptive Orientierungâ beschreibt. FĂŒr Fromm ist fĂŒr das Mensch-Sein âdie unbegrenzte Verschiedenheit der Persönlichkeitenâ bezeichnend. Jeder Mensch besitzt somit einen ganz bestimmten Charakter, der seine Persönlichkeit auszeichnet und ihn von anderen Menschen abgrenzt. CharakterzĂŒge sind keine Verhaltensweisen, die einem Menschen aberzogen werden können. Der Charakter ist vielmehr das, was zwar das Verhalten, die Vorlieben und Abneigungen bestimmt, aber nicht damit gleichzusetzen ist, weil er viel tiefer liegt. Verhaltensweisen, die bei einer oberflĂ€chlichen Betrachtung identisch wirken, können völlig unterschiedliche Motivationen, die wiederum auf die jeweiligen CharakterzĂŒge des Individuums zurĂŒckzufĂŒhren sind, zugrundeliegen. Die Art, wie jemand denkt, fĂŒhlt und die Welt wahrnimmt wird massgeblich durch diesen individuellen Charakter bestimmt (Fromm 1979). Therapiemassnahmen, die darauf abzielen, Autisten zu Nichtautisten zu machen, ignorieren die Einzigartigkeit des Charakters jedes einzelnen Individuums völlig und können lediglich bewirken, dass der Autist unter dem Druck von Aussen zerbricht und sich bis zur völligen Erschöpfung an eine von Aussen bestimmte Norm anzupassen versucht, die seinem Charakter zuwiderlĂ€uft.
Im VerhĂ€ltnis zur Geschichte der Menschheit, in der ein friedliches Neben- und Miteinander autistischer und nichtautistischer Menschen möglich war, ist diese pathologisierende Epoche, in der wir uns derzeit befinden, nur von sehr kurzer Dauer. Es werden immer mehr Stimmen laut, die Autismus nicht als Krankheit definieren, sondern als Art des Seins, das sich von der Art der Mehrheit unterscheidet. Als Beispiel sei hier Lisa Jo Rudi erwĂ€hnt, die auf der Website âAbout.com: Autismâ eine Beschreibung von Autismus in 10 positiven Punkten veröffentlicht hat. GemĂ€ss dieser Beschreibung zeichnen sich Autisten unter anderem durch Ehrlichkeit, Unvoreingenommenheit gegenĂŒber Anderen, Leidenschaftliches Interesse an bestimmten Themengebieten sowie weniger Interesse an materiellen GĂŒtern aus.