Achtung Achtung!

Die ESH hat nun eine neue eigene Plattform (abrufbar im Menü unter "Enthinderung"). Auf absehbare Zeit wird jene Plattform aktueller gestaltet sein als diese hier.

Vorgestellt: „The Low Arousal Approach“

Bei Recherchen zum Auswilderungsprojekt haben wir einen aktuellen Ansatz im Vereinigten Königreich (also „England“) entdeckt, der zumindest dem Anschein nach etliche Ähnlichkeiten zu unserem Ansatz aufweist und sich offenbar dort bereits seit einigen Jahren bewährt. Es ist jedoch zu betonen, daß wir diesen Ansatz in seiner dortigen Umsetzung nicht gründlich geprüft haben und somit keine fundierte Empfehlung für diese Projekte aussprechen können. Leider wird im Therapiesektor - und dieser Ansatz wird dort als Therapie geführt – sehr viel Schönfärberei und hohle PR betrieben.

Es kann keinesfalls garantiert werden, daß dort umfassend ESH-Standards eingehalten werden, einige theoretische Schwächen können nach der Darstellung vermutet werden. Insbesondere die analytische Seite dürfte bei einem NA-geführten Projekt problematischer umzusetzen sein. Laut Informationsstand ist es aber so, daß unter diesem Ansatz tatsächlich Personal schnell entlassen wird, das eine bevormundende Haltung gegenüber den Autisten an den Tag legt. Interessant ist auch das sinngemäße Selbstverständnis Folgen schädlicher Therapien in jahrelangem Umgang wieder zu heilen.

Wenn einige Aspekte wie Anleihen an TEACCH wirken, so betrifft das vor allem den grundsätzlich sinnvollen Aspekt Barrierefreiheit zu schaffen, der bei TEACCH jedoch in der Art der praktischen Anwendung oft deutlich ins Abseits führt. Solches Umsetzungsversagen spricht natürlich nicht gegen die Schaffung von Barrierefreiheit an sich, wenn man sinnvoll umsetzt.

Der untenstehende Text ist eine von uns mit Genehmigung angefertigte Übersetzung und mit in eckigen Klammern versehenden Anmerkungen eines extern vorhandenen Einführungstextes des Lehrers und Logopäden Ian P. Bell: http://ianpbell.files.wordpress.com/2011/08/article-24.pdf (basierend auf einem Seitenabruf vom 20.4.2013).

Einleitung
 
The Low Arousal Approach [Übertragung ins Deutsche: Der Weg des geringsten Widerstands] wird gewöhnlich bei Menschen mit autistischen Spektrumszuständen (ASZ) genutzt. Es ist Teil des SPELL-Systems, das von der National Autistic Society¹ gefördert wird.
 
Die Herangehensweise zur Überwindung dauerhafter Reizüberflutung
 
- unterstützt Einrichtungen, in denen sensorisches Wirrwarr so weit wie möglich reduziert ist
- erleichtert effektive Kommunikation; es ist möglich Pläne zu nutzen; der Minimal Speech Approach [die Herangehensweise für geringsten Sprachaufwand²] kann ebenso eingesetzt werden
- bietet die Möglichkeit zu entspannen und Spannungen abzubauen
- stellt sicher, dass Interaktionen ruhig verlaufen
- ist nicht konfrontierend
- reduziert Ereignisse, Situationen und Erfahrungen, welche Ängste, Stress und Reizüberflutung auslösen
- vermeidet die Eskalation von Erregungslevel und reduziert auf diese Weise das Risiko, dass Menschen in Krisen geraten
- verfügt über Strategien um Überlastungszustände und daraus resultierende Krisen zu meistern, wenn sie auftreten
 
 
Wirrwarr reduzieren
 
Viele Autisten haben [in einseitig von Nichtautisten gestalteter Kulturlandschaft] sensorische Schwierigkeiten und Bedürfnisse. In Einrichtungen ist es häufig notwendig, sensorische Eindrücke zu reduzieren. Es trägt zu einer Regulierung des Belastungsgrades bei und befähigt Autisten ruhig zu bleiben, entspannt und verhilft dazu, sich an Bildungs- und Freizeitaktivitäten beteiligen sowie mit anderen Menschen interagieren zu können. In einer Einrichtung sicherzustellen, dass Wirrwarr reduziert wird, sollte das Kernelement der Herangehensweise für geringe Belastungsgrade sein.
 
Bei einer wirrwarrrreduzierten Umgebung handelt es sich um eine, in der sensorische Reizung auf einem Minimum gehalten wird. Dies kann beispielsweise sein:
 
- Wände werden von Kunst, Poster und Notizen freigehalten
- Dekoration ist einfach und unaufgeregt, Farbschemata beachten die Vorlieben der Person
- Neonröhren, andere helle Lampen und Blendung werden vermieden
- Gerüche werden reduziert, indem duftstofffreie Reinigungsprodukte, Seifen und so weiter benutzt werden, sowie Enthaltsamkeit der Menschen in der Nutzung von Parfüm und After- Shave
- Vorhänge und Rollos werden davon abgehalten, sich im Wind zu bewegen
- Geräusche werden auf einem Minimum gehalten, indem verantwortungsvoll mit der Nutzung von Computer und Laptops umgegangen wird (weil sie brummen) ebenso von Geräten wie Heizungen, Klimaanlagen und Kühler [Anmerkung: Das kollidiert natürlich mit dem Recht der Autisten auf barrierefreie Kommunikation. Es gibt durchaus leise Geräte und seien es Smartphones.]
- gesprochene Sprache wird reduziert (beispielsweise durch Nutzung des Minimal Speech Approach)
- Menschen vermeiden es, ihre Stimme zu erheben
- Menschen bewegen sich in einer ruhigen Weise und vermeiden es, zu hetzen und gegen andere Menschen zu stoßen oder sie zu streifen
- Menschengruppen werden vollständig vermieden oder sehr klein gehalten [soweit von Nichtautisten organisiert, das sollte nicht auf freiwillige Treffen von Autisten bezogen werden]

Obwohl es unmöglich (und auch nicht wünschenswert) ist, alle sensorischen Reize zu entfernen, ist es eine wichtige Methode für alle, die den Low Arousal Approach übernehmen, um ihr Bewusstsein zu stärken. Dies ermöglicht es den Menschen Situationen vorherzusehen und auf diese Weise zu vermeiden, die der autistische Mensch wahrscheinlich schwierig finden wird. Zum Beispiel ist es wichtig, viele Dinge zu überwachen, die Folgendes beinhalten:
 
- Lautstärkepegel
- Anzahl der Menschen in einem Raum
- Gerüche
- Temperatur
- wie müde, hungrig und durstig ein Autist ist
- alles, das anzeigt, dass ein Autist zur Toilette muss, Schmerzen hat oder Unwohlsein empfindet.
 
In Lernsituationen kann ein Autist mit einem Einzeltisch unterstützt werden. Tatsächlich können Einzelplätze auch in nicht bildungsbezogenen Bereichen nützlich sein; zum Beispiel können sie Autisten unterstützen, sich mit Freizeitaktivitäten zu beschäftigen. Es kann notwendig sein, einen solchen Platz in jedem Raum anzubieten, den der Autist nutzt. Es kann hilfreich sein, den Platz in der Nähe des Ausgangs zu platzieren, damit die Person sofort den Raum verlassen kann, falls die Situation zu belastend wird. Der Platz sollte gegen die Wand gestellt werden, damit der Lernende die Wand sieht, wenn er am Tisch arbeitet. Die Wand vor der Person sollte frei sein von [fremdgewählter] visueller Ablenkung wie Kunst, Poster und Notizen.
 
  
Effektive Kommunikation
 
Es ist notwendig, dass Strategien an die effektive Kommunikation in jedem Einzelfall individuell angepasst werden. Jedoch finden es viele Autisten schwierig, gesprochene Sprache zu verstehen und profitieren von jeglicher Art visueller Unterstützung, wie Bilder, Symbole oder Text. Oft ist es angemessen, die Menge gesprochener Sprache zu reduzieren; der Minimal Speech Approach ist in dieser Beziehung nützlich. Pläne sind sehr hilfreich für viele Autisten. Da Autisten deutlich voneinander variieren, ist es nicht möglich, an dieser Stelle Details zu nennen, auf welche Weise die Kommunikation einer bestimmten Person am besten unterstützt werden kann.
 
 
Gelegenheiten zur Entspannung und zum Spannungsabbau
 
Jeder benötigt das Angebot von Aktivitäten, die sie oder er motivierend, angenehm und entspannend findet, und dies ist, wahrscheinlich, besonders wichtig für Autisten. Als ein Ergebnis davon angehalten zu sein an Aktivitäten teilzunehmen, die nicht verstanden, nicht als motivierend oder gar als schädlich empfunden werden, können Autisten überreizt werden. Nicht alle solche Aktivitäten sollten vermieden werden; zum Beispiel ist es nicht klug, das Zähne putzen zu unterlassen. [Anmerkung: Da es durchaus etliche „freilebende“ Menschen aller Arten gibt, die das auch nicht tun, wäre hier die Frage, inwieweit es ethisch vertretbar ist einen „Schutzbefohlenen“ zu einer Tätigkeit zu nötigen, weil man sie als „Aufsichtsperson“ als gut befindet.³] Eine unmotivierende oder schädigende Aktivität kann von einer gefolgt sein, die die Person motivierend und Vergnügen bereitend empfindet – als eine Möglichkeit zu entspannen und Spannung abzubauen. [Anmerkung: Sollte nicht von außen im Stil von Konditionierung praktiziert werden!] Tatsächlich können solche Aktivitäten über den Tag verteilt in einem bestimmten Rhythmus angeboten werden, um das Risiko zu minimieren, dass ein Autist sehr unruhig/ängstlich, hochgradig gestresst, oder reizüberflutet wird und so in einen Nervenzusammenbruch getrieben wird. [Anmerkung: Diese Verteilung kann auch negativ wirken, indem längere Verarbeitungszyklen ständig unterbrochen werden und so von vorne begonnen werden müssen.]
 
 
Ruhige Interaktionen
 
Alle Interaktionen mit einer autistischen Person sollten ihren oder seinen Interaktionstyp beachten. Sie sollten von Natur aus ruhig sein, es sei denn, die Person zeigt eindeutig an, dass sie oder er in einer ungestümen Weise interagieren möchte.

Selbst bei diesen Gelegenheiten ist es wichtig, hellhörig zu sein und mit Wachsamkeit fortzufahren, da die Person während einer angenehmen - und insbesondere einer lebhaften - Aktivität schnell überreizt werden kann.
 
Ferner ist es wichtig, auf die Person in einer Weise einzugehen, die sie oder ihn dabei unterstützt, entspannt zu bleiben. Das bedeutet, so einfühlend und schnell wie möglich zu reagieren. Die Reaktion sollte Stimmung, Stress- und Angst-/Beklemmungslevel, körperliches Wohlergehen und die Reizlevel in der Umgebung berücksichtigen.
 
Ein Autist kann schnell überreizt werden, falls die Anfrage nach einer Aktivität oder einem Gegenstand abgelehnt wird. Zeitweilig kann es angemessen sein, ihr oder ihm das vorzuenthalten, das sie oder er angefragt hatte, wenn sie/er ruhig und entspannt ist. Doch selbst in diesen Momenten ist es ratsam zu vermeiden, Nein zu sagen, da dies Stress auslösen kann. Eine häufig effektive alternative Strategie ist es, zu sagen: Später. Zum Beispiel, falls die Person während einer Lernsituation nach einer bevorzugten Aktivität fragt (möglicherweise etwas zu fotokopieren), ist es möglich zu sagen: "Arbeite jetzt. Fotokopieren später." Sollte die Person visuelle Unterstützung benötigen, sollte diese ebenfalls angewendet werden. [Anmerkung: Sollte auf keinen Fall zur generellen Gewohnheit gemacht werden. Der Beispielfall wirkt akzeptabel (wer will, daß der Autist arbeitet?), andere mögliche Fälle wären es nicht.]
  
 
Nicht-konfrontierendes Verhalten
 
Es ist insbesondere wichtig, in allen Situationen mit Autisten nicht-konfrontierend zu sein. Wenn der Erregungslevel einer autistischen Person zu steigen beginnt, ist es für andere leicht, versehentlich konfrontierend zu werden. Dies kann als eine Konsequenz auf unter den Umständen unpassende Anforderungen an einen Autisten in Erscheinung treten. Zum Beispiel, wenn sie/er sehr ängstlich oder gestresst wird oder sich in einer Weise verhält, die [auf Nichtautisten] befremdlich wirkt, ist es in der Tat konfrontierend, von ihr/ihm eine Entschuldigung zu fordern – es ist eine Forderung, die möglicherweise nicht einmal bei Ruhe verstanden werden kann, und es ist eine, die sehr wahrscheinlich den Angst- oder Stresslevel der Person weiter steigen lassen wird.
 
Sich nicht-konfrontierend zu verhalten, erfordert von den Menschen auch, es zu vermeiden, einen Autisten mit Situationen zu konfrontieren, die sie/er nicht bewältigen kann.
 

Trigger reduzieren
 
Es ist wichtig, all jene Ereignisse, Situationen und Erfahrungen zu reduzieren – und falls möglich zu beseitigen, die Angst, Stress und Reizüberflutung auslösen. Das kann durch die Anwendung aller Bestandteile des Low Arousal Approach erreicht werden.
 
 
Vermeidung der Eskalation der Erregungslevel
 
Alle Anstrengungen sollten unternommen werden, um es zu vermeiden, dass Angst- oder Stresslevel, oder die sensorische Reizverarbeitung von Autisten außer Kontrolle gerät. Es ist wichtig, jede Person und die Umgebung stets zu reflektieren. Wenn es offensichtlich wird, dass der Angst-/Stresslevel oder die sensorische Reizverarbeitung eskaliert, müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um die Ursachen der Eskalation zu beseitigen. In einigen Situationen ist die angemessenste Vorgehensweise für eine Person die, in eine ruhige, entspannte Umgebung zu gelangen, die sehr reizarm ist. Dies kann ein separates Zimmer sein, aber es kann auch ein deutlich abgesetzter Bereich in einem Zimmer sein; einige Autisten finden große Kisten oder Zelte nützlich.
 
 
Umgang mit akuten Überlastungszuständen
 
Leider ist es nicht immer möglich, eine Situation vor der Eskalation zu bewahren; eine Person gerät dann in einen solchen Zustand. Im Rahmen des Low Arousal Aproaches ist es notwendig, Strategien zur Handhabung solcher Situationen zu besitzen: Menschen [im Umfeld] müssen wissen, wie sie zu reagieren haben. Da ein Mensch, der sich in der Situation eines Nervenzusammenbruchs befindet, Kommunikationsfähigkeiten verliert, ist es besonders wichtig, dass andere Menschen verstehen, wie sie effektiv mit ihr/ihm kommunizieren können.
 
Sollte ein Autist in einen Überlastungszustand geraten, benötigt sie/er Zeit, um sich wieder zu beruhigen. Die Menge der Zeit, die sie/er bei jedweden Anlass benötigt, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab, insbesondere von Schwere und Dauer der Zumutung.
 
Um sich wieder beruhigen [sortieren, ordnen] zu können, profitieren einige Menschen von einer ruhigen, entspannten Umgebung, die sehr reizarm ist (siehe den vorhergehenden Abschnitt). Andere profitieren davon, an frischer Luft zu sein. Wie dem auch sei, in diesem Zustand kann eine Person unfähig sein, ihre/seine gewohnte beruhigende Umgebung aufzusuchen oder nach draußen zu gehen; sollte dies der Fall sein, kann es notwendig sein, andere Menschen von der Person zu entfernen, die überlastet ist, um sie davon abzuhalten, mit ihr/ihm zu kommunizieren und um die Reizflut so weit wie möglich zu reduzieren.
 
 
Abschließende Bemerkungen
 
Der Low Arousal Approach bietet eine Umgebung, in der Autisten entspannter sein können, als es ansonsten der Fall wäre. Er spielt eine zentrale Rolle im Umgang mit Erregungslevel, sowie Ängste, Stress und Reizflut unter Kontrolle zu behalten. Er ist nicht-konfrontierend und besitzt Strategien um der Eskalation der Erregungslevel vorzubeugen und die Handhabung von Krisen zu ermöglichen, wenn sie auftreten. Der Low Arousal Approach befähigt Autisten, sich effektiver in Lernsituationen und Freizeitaktivitäten zu begeben und mit anderen Menschen zu interagieren.
 
Den Low Arousal Approach bereitzustellen, bildet einen wesentlichen Bestandteil, um den Empathic Approach4 zu gewähren.

Fußnoten

¹ Für eine Beschreibung des SPELL-Systems siehe
http://www.autism.org.uk/living-with-autism/strategies-and-approaches/sp....
Stand: 2. Januar 2013
 
² The Minimal Speech Approach [die Herangehensweise des geringen Sprachaufwands] ist beschrieben in einem eigenständigen Artikel und erhältlich bei
http://ianpbell.wordpress.com/visual-impairment-autism/

[³ Anderes Beipiel: Ein entmündigt reisender Behinderter schnorrt in einem unbewachten Moment von einem Mitwartenden eine Zigarette und beginnt diese in einem dafür zugelassenen Bereich zu rauchen. Ein Wächter entdeckt dies schließlich, reißt dem „Schutzbefohlenen“ die Zigarette aus dem Mund und schimpft empört den freudlichen Mitreisenden aus. Das mag alles mögliche sein, Inklusion und Unterstützung von Selbstbestimmtheit ist das ganz sicher nicht.]
 
4 Der Emphatic Approach wird in einem eigenständigen Artikel beschrieben, der erhältlich ist bei:
http://ianpbell.wordpress.com/communication-in-iv-children/