"Warum haben Sie diese Finanzkrise nicht vorausgesehen?", soll die Queen die Vertreter der Ökonomenzunft bei einem Besuch der London School of Economics gefragt haben. Man möchte die alte Dame herzen und küssen ob der Einfachheit, Naivität und Berechtigung dieser Frage. Die Untertanen der Majestät nahmen die Frage anscheinend mit dem gebührenden Ernst auf. Samuel Brittan, der altgediente Kolumnist der Financial Times, berichtet, dass die British Academy eine Kommission gebildet habe, die mit der Ausrede geantwortet habe, viele hätten die Krise vorausgesehen, allerdings nicht ihre spezifische Form, ihre Wucht und ihr Timing.
Es handelt sich wirklich um eine Ausrede. Denn sonderbarerweise war die Erkenntnis oder zumindest die Ahnung weit verbreitet, dass es zu einem Crash im Finanzsystem kommen müsse, gerade unter denen, die sich am Finanzmarkt tummelten. Aber sollten sie laut "Feuer" rufen und damit die Party, von der sie profitierten, vorschnell beenden? Natürlich nicht. Unter den Ökonomen konnten es sich einige Stars leisten, vor dem verrückten Spekulationsspiel zu warnen. Die Mehrzahl der Ökonomen aber hütete sich, gegen den Boom im Finanzsektor zu argumentieren. Denn direkt oder indirekt leben auch sie davon bestens.
Das gilt nicht nur für die Volkswirte, die bei Banken, Fonds oder Versicherungen arbeiten. Auch die an Universitäten angestellten Volkswirte, die Betriebswirte ohnehin, bemühen sich in der Mehrzahl immer, den Finanzkonzernen zu gefallen. Das gilt umso mehr, wenn die Lehrstühle von Banken mitfinanziert werden. Dass Professor Bert Rürup, der langjährige Chef des Sachverständigenrats, des wichtigsten Gremiums zur ökonomischen Politikberatung, direkt zum Finanzdienstleister AWD gewechselt ist, erklärt, warum über die von der Finanzbranche ausgehenden Gefahren geschwiegen wird.
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Leider hat sich in den beiden Jahren der Finanzkrise daran nichts geändert. Weder haben die Profiteure des Finanzsystems und ihre Regulatoren schuldbewusst den Rückzug angetreten. Noch hat die Politik trotz großer Regulierungsrhetorik Schritte eingeleitet, um den Finanzsektor zu verkleinern oder auch nur zu bändigen. Vielmehr gilt es als vornehmstes Ziel, die schwachen Banken wieder aufzupäppeln, damit sie endlich wieder Kredite vergeben.
Da diese kaum in die sich vertiefende realwirtschaftliche Krise hinein ihr Kreditvolumen ausweiten, dürften sie versuchen, die Spekulation in Vermögenswerten anzuheizen und damit Gewinne zu erzielen. Einigen wird das gelingen. Die Mehrzahl der Banken wird jedoch weiter staatlich gestützt gerade so überleben. Über die einfache Tatsache, dass Umfang und Macht des Finanzsektors bei Weitem zu groß für die Ökonomie des Globus sind, wird weiter beharrlich geschwiegen.
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