Autisten - Nichtautistische Zuschreibungen

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Autisten werden etliche Eigenschaften zugeschrieben, die sich bei genauerem Einblick nicht nur als sehr fragwürdig herausstellen können, sondern sich kurioserweise immer wieder als Punkte herausstellen, die im Vergleich mit Autisten eher auf durchschnittliche Nichtautisten (NA) zutreffen würden. Dies mag auf viele zunächst völlig absurd erscheinen, die gedankliche Zwangsläufigkeit ist nach entsprechender realistischer Beschäftigung mit diesen Punkten jedoch oft bemerkenswert.

Zuschreibungen und Wirklichkeit

  1. Autisten haben geringere soziale Kompetenzen oder Autisten sind in ihrer inneren Welt verhaftet

    Ein Kernpunkt der Pathologisierung von Autisten ist eine angeblich geringere soziale Kompetenz. Hier stellt sich zunächst die Frage, was man sinnvollerweise unter sozialer Kompetenz verstehen kann. Geht es um das Beherrschen einer Sprache? Es hat nicht den Anschein als würden heutige Nichtautisten gemäß einem "Barbaren"-Verständnis (Barbar = jemand, der nicht die eigene Sprache spricht und den man deswegen nicht versteht, sondern nur "bar bar bar") andere Nichtautisten in dieser Weise einordnen. Das würde nicht zur "globalisierten" Welt schneller Transport- und Kommunikationsmittel passen. Der Kontakt ist zu einfach um solche Angrenzungen gesellschaftlich aufrechthalten zu können. Und auch erhebliche kulturelle Unterschiede werden heute respektiert, zumindest wenn eine Region gesellschaftlich halbwegs breit verteilten materiellen Reichtum aufweist.

    Kontakt mit Angehörigen anderer Kulturen ist heute leicht möglich, bei Autisten sieht das noch weitgehend anders aus, auch wenn sich in manchen Ecken des Internets solche Möglichkeiten anbieten. Diese Möglichkeiten sind jedoch noch weithin unbekannt, was ihre faktische Erreichbarkeit insofern noch sehr limitiert. Wenn Autisten sich in allgemeinen Internetforen als solche zu erkennen geben und nicht den üblichen Klischees zu entsprechen scheinen sind oft etliche Nutzer verunsichert, was dann oft mit dem Ausschluß des Autisten endet. Die Vorwürfe sind oft erstaunlich, es wird gerne behauptet der autistische Teilnehmer sei eine Fälschung und dessen Darstellungen würden gar Behinderte diskriminieren oder lächerlich machen. Dem "Ernst des Themas" sei nicht entsprochen. Und tatsächlich - woher sollen normalsterbliche Forenteilnehmer wissen wer über ein Forenkonto tatsächlich teilnimmt. Faktisch ergibt sich daraus jedoch leider eine brutale Ausgrenzung von Autisten, sofern sie in ihrem Forenalltag auch als solche erkennbar zu werden. Auch dies beschränkt die Erreichbarkei, die Präsenz von Autisten in der allgemeinen Internetgesellschaft als für Autisten barrierefreier Kommunikationsplattform.

    Systematisch ist nicht erkennbar, daß "soziale Kompetenz" auf kulturelle Gewohnheiten bezogen werden soll. Regional bedingte Kulturen weisen teils geringere Anteile auf, die auf nicht ansozialisierte Veranlagungen zurückgehen. Bei Subkulturen, Kulturen deren Mitglieder sich innerhalb einer regionalen Gesellschaft erst finden müssen, kann das schon anders aussehen, gerade wenn charakterliche Neigungen angesprochen werden (z.B. bei Gothics). Hier kann man auch Deaf Pride und eben Autistic Pride einordnen. Entsprechend hinlänglich bekannter Generationenkonfliktsmechanismen verläuft die allgemeingesellschaftliche Bewertung dynamisch und ist meist keinesfalls objektiv verfasst.

    Untereinander sind (unter halbwegs geeigneten Umständen lebende) Autisten hochgradig sozialkompetent. Eine Zusammenarbeit läuft (nach einer Lernphase, wie sie auch NA anfänglich durchlaufen - weil sie als Mehrheit einander leicht finden bei ihnen praktisch durchweg in der Kindheit) sogar reibungsloser als unter durchschnittlichen NA, die aufgrund ihrer Veranlagung immer auch eine Art Rudelverhalten an den Tag legen, das eine Zusammenarbeit auf der Sachebene erheblich stört und jährlich in der Wirtschaft hohe Milliardenschäden anrichtet. Auch überhaupt bedeuten Ideen und Korrektheit an sich für viele Autisten weit mehr als für durchschnittliche NA, die oft eher daran denken für sich persönlich Nutzen aus allen zu ziehen, egal ob es einem Kollektiv schadet oder nicht. Daraus ergibt sich erstaunlicherweise die Tatsache, daß Autisten offenbar untereinander effektiver zusammenwirken können, als NA in der Lage zu sein scheinen und auch sozial kompetenter sind.

  2. Autisten sind dazu verdammt sich immer einsam zu fühlen oder Autisten sind zu bedauern, weil sie emotional kaum etwas fühlen

    Viele Autisten sind furchtbar einsam und alleine. Manche wünschen sich deswegen sogar den eigenen Tod. Diese Problematik stellt sich bei genauerer Analyse jedoch als sozial bedingt heraus. Autisten als Minderheit sind einerseits noch immer weitgehend zerstreut und werden zwar teils auch bestaunt, leiden jedoch allgemein unter etlichen unschönen Klischeevorstellungen. Autisten sind keine Computer, auch wenn wir vielleicht auf Außenstehende wegen der andersartigen Körpersprache ein wenig so wirken oder aufgrund von Barrieren nicht recht zu reagieren scheinen.

    Autisten haben tiefe Gefühle, auch tiefe gemeinschaftliche Gefühle. Die Gefühlswelt von Autisten scheint aber tatsächlich anders verfasst zu sein als die durchschnittlicher Nichtautisten. Dies betrachten Autisten jedoch nicht unbedingt als Nachteil und sehen darin sogar einen riesigen Segen. Die Gefühlswelt von Autisten ist eine "runde Sache", sie ist für sich komplett. Dementgegen wissen wir, daß sehr viele Nichtautisten sich sogar trotz vieler "Freunde" einsam fühlen und gerade aufgrund ihrer Veranlagung sich zwar nach Offenheit sehnen, jedoch diese nur schwer praktizieren können, weil ihre Rudelveranlagung gleichzeitig ebenfalls stark in ihnen wirkt und "höhere" geistige Bedürfnisse konterkariert. Viele Religionen scheinen regelrecht darauf angelegt zu sein Nichtautisten autistischer zu machen, wohingegen bekannte religiöse Persönlichkeiten eventuell selbst Autisten waren, die nicht fassen konnten wie die meisten Menschen lebten. So heißt es z.B. von Moses er sei "schwer von Mund und schwer von Zunge" gewesen.

  3. Autisten neigen zu Schwarz-Weiß-Denken

    Der Eindruck des Schwarz-Weiß-Denkens resultiert zu nennenswertem Anteil aus den unterschiedlichen Veranlagungen und der geringen Empathie füreinander. Verschiedene soziale Systematiken können aus Sicht eines fremden sozialen Systems beurteilt als extrem eingeschätzt werden, weil das Verständnis für das fremde System und seine Wirkzusammenhänge fehlt. Wenn in manchen Ländern Asiens sich Einheimische extrem darüber aufregen, wenn man in räumlich engen Situationen über sie als Schlafende hinwegsteigt (dem zugrunde liegt die Vorstellung, daß es den Menschen verunreinigt, wenn jemand den Fuß über den eigenen Kopf hebt, weswegen sie vorziehen geweckt zu werden, wenn jemand vorbeiwill), mag das extrem und sehr unverständlich wirken. Wenn sowieso schon eine Gruppenhierarchie vom Bewertenden angenommen würde, die von der eigenen Höherwertigkeit ausgeht, würde solches Verhalten vermutlich als Beweis von Unzurechnungsfähigkeit oder dergleichen mehr angesehen werden. Das war in vergangenen Zeiten teilweise auch der Fall. Nur weil heute fremde Völker nicht mehr in diesem Maße von vorneherein als geringwertiger angesehen werden (was für NA auch immer mit wirtschaftlicher Macht zu tun hat) sieht man solche Dinge heute als interkulturelle Differenzen an, die man an einigen Universitäten sogar studieren kann.

    In Bezug auf Autisten ist die Gesellschaft hingegen noch nicht so weit fortgeschritten und zeigt hier noch immer wieder erhebliche Erkenntnisdefizite, so etwa die Tatsache, daß aus autistischer Sicht durchschnittlich nichtautistisches Verhalten wohl genausoviele Bereiche aufweist, die Autisten als auffälliges Schwarz-Weiß-Denken von NA erscheinen. Auch hier findet sich also wieder einmal als entscheidende Kraft die Arroganz der Mehrheit ihre nicht selbstverständlichen Positionen fälschlich quasi für objektiv zu halten.

  4. Autisten haben Schwierigkeiten Sinn aus der Welt herauszulesen

    Zitat:
    Dann erst konnten wir den roten Faden entdecken, der sich durch die Befunde zieht. Es ist dies die Unfähigkeit, Informationen so zusammenzufassen, dass sie kohärente und bedeutungshaltige Vorstellungen ergibt. Die Veranlagung der Psyche, aus der Welt Sinn herauszulesen, ist gestört. Genau diese besondere Störung in der 'Mechanik der Psyche' kann die wesentlichen Merkmale des Autismus erklären. Der Rest ist sekundär. Wenn wir diese Tatsache aus dem Auge verlieren, verfehlen wir auch den übergreifenden Zusammenhang". (vgl. FRITH 1992, 202)

    Quelle: http://autismus.ra.unen.de/topic.php?id=4764

    Geradezu parodistisch breitet im beispielhaften Zitat ein "Experte" seine Erkenntnis aus, welche er über den Kern von Autismus erkannt zu haben meint. Bei näherer Betrachtung ist außerordentlich bemerkenswert, daß gerade Autismusexperten oft von erheblichen dem oben beschriebenen nahekommenden Schwierigkeiten zeugen, wenn es darum geht Autismus korrekt zu erfassen und beispielsweise zu erkennen, daß Autisten durch vermeidbar ungünstige Lebensumstände sehr angegriffen werden und deswegen freilich oft Ausfallserscheinungen zeigen, jedoch solche, die man bei nahezu allen Menschen unter ähnlicher Belastung beobachten könnte. Der übrigbleibende Rest dürfte mit den verschiedenartigen Veranlagungen erklärbar sein, in deren Rahmen es aus autistischer Sicht ebenfalls so wirken kann, als ob durchschnittliche Nichtautisten Schwierigkeiten haben würden Informationen aus dem zu folgern, was sich ihnen darbietet.

  5. Autisten sind kaum multitaskingfähig, Autisten können andere schlecht einschätzen oder Autisten äußern sich ständig grob gegenüber anderen

    Durchschnittliche Nichtautisten bilden sich häufig ein multitaskingfähig zu sein. Die Wissenschaft zeigt uns jedoch, daß dieser Eindruck letztenendes nur eine Illusion ist. Ebenso bilden sich durchschnittliche Nichtautisten gerne ein ihre Mitmenschen emotional gut verstehen und erfassen zu können. Auch dies scheint nach dem Stand der Psychologie eher ein Trugbild zu sein als der Realität zu entsprechen. Autisten scheinen sich hier wesentlich besser selbst einschätzen zu können. Die daraus resultierenden sich unterscheidenden Selbsteinschätzungen könnten zu den gängigen Klischees geführt haben, daß Autisten nicht multitaskingfähig wären und andere Menschen wesentlich schlechter einschätzen können. Durchschnittlicher Nichtautismus funktioniert hier möglicherweise wie eine Form der Schizophrenie (also grob verallgemeinert der Eigenschaft Dinge für real zu halten, die es nicht sind), wofür es auch neurologische Hinweise gibt.

    Autisten sprechen deutsch, Nichtautisten sprechen deutsch. Dennoch unterscheidet sich die Art der Anwendung teilweise grundlegend. Während Autisten meist direkt kommunizieren vermuten Nichtautisten oft geradezu zwanghaft irgendwelche weiteren Mitteilungen jenseits der unmittelbaren Aussagewerte.

    Beispiel:
    A: "Dein Schuh ist offen."
    B: Oh nein, A mag mich nicht.

    Während der erste Punkt durch einen gewissen Bildungsstand wohl halbwegs beherrschbar ist, hat es sich bisher gezeigt, daß es Nichtautisten oft geradezu unmöglich ist Sprache nicht auch immer nebenbei "schizophren" zu deuten. Dies stellt sich als riesige Herausforderung für die Kommunikation dar und zwar aufgrund der veranlagungsbedingten Unfähigkeit der Nichtautisten Sprache in für sie zwischenmenschlich angenehmen Kontakten ausschließlich sachbezogen zu deuten und nicht aus unbewußten Deutungsfiltern heraus emotional einzuordnen. Hier wäre eventuell eine bis heute nicht existente qualifizierte pädagogisch-therapeutische Begleitung der Angehörigen von Autisten sinnvoll.